In den vergangenen zwei Jahren hat die Zahl der antisemitischen Straftaten stark zugenommen. Im Jahr 2024 wurden 6.236 solcher Straftaten verzeichnet, was im Vergleich zum Vorjahr 2023 (mit 5.164 Delikten) einem Anstieg von fast 21 Prozent entspricht. Dies stellt nach dem bereits starken Anstieg im Jahr 2023 erneut einen neuen Höchststand seit Beginn der Erfassung dar. Wenn Minderheiten zunehmend Opfer von Straftaten sind, spiegelt das auch den Zustand unserer Demokratie wider.
Schule an sich soll junge Menschen dazu bringen, die Werte unserer Demokratie zu kennen und anzunehmen. Und weil Antisemitismus gerade in der Bundesrepublik Deutschland ein äußerst wichtiges Thema ist, haben die Lehrkräfte Saskia Fricke und Tim-David Specht zwei jüdische Ehrenamtliche von der Organisation „Meetajew“ in ihren Religions-Unterricht in der elften Klasse des Wirtschaftsgymnasiums eingeladen. Das Ziel der Veranstaltung war es, den SchülerInnen durch persönliche Begegnungen einen individuellen Einblick in die Vielfalt des jüdischen Lebens als Minderheit in Deutschland zu ermöglichen. Dabei sollte das oft stereotype Bild von „den Juden“ – mit langen Bärten und Zöpfen sowie traditionellen Gewändern – aufgebrochen werden. Die ReferentInnen wollten den Teilnehmenden authentische jüdische Gesichter und Perspektiven näherbringen, indem sie aus ihrem eigenen Leben erzählten, lebendige Einblicke in ihren Alltag gaben und die Fragen der SchülerInnen beantworteten.
Denn beide waren sich einig: Menschen, die bereits JüdInnen persönlich getroffen haben, sind weniger anfällig für Stereotype und Vorurteile. So sollte es nicht ausschließlich um die Themen Antisemitismus, die Shoah oder den Nahostkonflikt gehen.
Referent David, der in Kalifornien geboren und aufgewachsen ist, zog einen Vergleich zwischen dem jüdischen Leben in den USA und Deutschland. In den USA sei es einfacher, koscheres Essen zu finden und sich an die jüdischen Speisevorschriften zu halten. Eine mutige Frage eines Schülers lautete, was genau mit „koscherem Essen“ gemeint sei, da er nur das Sprichwort „Das ist mir nicht ganz koscher“ kenne. David erklärte, welches Fleisch und welche Fische im Judentum erlaubt sind, und wies darauf hin, dass es in Deutschland oft schwierig sei, koscheres Essen zu finden, da in den USA eine größere jüdische Gemeinschaft existiert. Elena erwähnte eine App, die koschere Lebensmittel auflistet, betonte jedoch, dass die Nutzung mühsam sei. Die Schüler waren überrascht von der unterschiedlichen Religiosität der Referenten.
Elena, Mutter mehrerer Kinder, betonte die Bedeutung jüdischer Traditionen und Feiertage für ihre Familie, während sie gleichzeitig die christlichen Feste wie Weihnachten und Ostern mit Interesse verfolge. David berichtete, dass er mit seiner katholischen Frau Weihnachten feiert, obwohl es nicht sein eigenes Fest ist. Beide ReferentInnen gaben an, dass sie sich erst im Erwachsenenalter intensiver mit ihrer Religion auseinandergesetzt haben.
Danach wurde das Thema Antisemitismus angesprochen. Elena erzählte von einem Streit auf dem Pausenhof, bei dem „Du Jude“ als Schimpfwort verwendet wurde. Beide Schüler waren nicht jüdisch und konnten nicht erklären, welche Assoziationen sie mit diesem Ausdruck verbanden. David bezeichnete den sogenannten „säkularen“ Antisemitismus als problematisch, da er als Jude häufig aufgefordert werde, sich zum Nahostkonflikt zu äußern. Er kritisierte die pauschale Annahme, dass alle Juden mit der israelischen Politik identifiziert werden könnten, und stellte klar, dass er nur zweimal in Israel war und sich daher nicht mit dem Konflikt identifizieren könne. So konnten die SchülerInnen erkennen, dass es mehrere Arten von Antisemitismus gibt.
Die Schüler interessierten sich auch dafür, ob Elena und David in ihren Familien Holocaust-Überlebende haben. David verneinte dies aufgrund seiner amerikanischen Herkunft, während Elena bedauerte, als Jugendliche nicht genug Fragen an Großeltern gestellt zu haben. Sie betonte, wie wichtig es sei, dass junge Menschen sich für ihre Familiengeschichte interessieren, da es irgendwann zu spät sein könnte, um Fragen zu stellen.
Nachdem Margot Friedländer diesen Monat verstarb und immer weniger Zeitzeugen noch leben, ist es umso wichtiger, dass sich Ehrenamtliche wie Elena und David in Organisationen wie „Meetajew“ einbringen. Sie leisten durch ihre Aufklärungsarbeit und den Austausch einen wichtigen Beitrag, gegen die alarmiernden Entwicklungen vorzugehen und unsere Demokratie zu stärken. Die Erich-Bracher-Schule bedankt sich herzlich für den Besuch!